Journal
Den Energien auf der Spur. Zwischen Teufelsbildern und technologischen Innovationen
Gespräch mit Jörg Jochen Berns, Aby-Warburg-Stiftungsprofessor 2017
Katharina Hoins: Herr Berns, Sie sind seit Anfang März als Aby-Warburg-Stiftungsprofessor zu Gast am Warburg-Haus. Woran arbeiten Sie hier?
Jörg Jochen Berns: Die Zuerkennung der Aby-Warburg-Stiftungsprofessur hat mich überrascht und gefreut. Ich nutze die Gelegenheit, in diesem Hause mit seinen singulären Recherchemöglichkeiten an Sonderaspekten meines Generalthemas ‚Acheiropoiesis‘ fortzuarbeiten. Bei diesem Generalthema, das ich schon seit mehr als zehn Jahren verfolge, geht es mir um Zusammenstellung und Vergleich der mythischen und legendären Ursprungsgeschichten der Bildkünste. Solche Geschichten finden sich in der Bibel, bei Plinius, in der Patristik, in der Kirchenhistorie oder in Legendensammlungen. Ich vergleiche diese Ursprungsgeschichten miteinander und verfolge das Fortwirken ihrer phantasmatischen Energie durch die Jahrhunderte hin bis in die Gegenwart.
Und was finden Sie hier konkret dazu im Warburg-Haus?
Hier widme ich mich Aspekten der Physiognomik. Dazu steht mir die vierbändige Ausgabe von Johann Caspar Lavaters Physiognomik im Erstdruck von 1775ff. zu Verfügung, und so befasse ich mich mit bildtheoretischen und bildpraktischen Problemen dieses Wissenszweigs. Ich bin erstaunt, wie stark Lavater auf die Lehrsätze früherer Physiognomiker – von Aristoteles über Cocles bis zu della Porta und Goclenius, die mir in digitalisierter Form vorliegen – baut, ohne doch deren Niveau zu erreichen. Die Physiognomik ist zwar nie zu einer institutionell anerkannten Wissenschaft geworden, beeinflusste aber – vielleicht gerade deshalb – Künstler und Poeten bis heute nachhaltig.
Sie untersuchen anhand von Texten und Bildern in der Frühen Neuzeit die Macht, die dem Teufel in der Produktion von Bildern zugeschrieben wurde. Sie werden dazu im Mai auch einen Vortrag halten. Sie vertreten die These, dass der Teufel aufgrund medizinischer, erkenntnispsychologischer und technologischer Kenntniserweiterungen zusehends entmachtet wurde. Wie konnte das geschehen?
Auch die Frage nach der Bildpotenz des Teufels ist insofern eine physiognomische, als die kinetische Schreckbildlichkeit seines Erscheinens in einer bestialitas-Kombinatorik gründet, d.h. in einer ständig changierenden Tier-Mensch-Affinität, die ein zentrales Prüfkriterium jedweder Physiognomik war. Die Variabilität und Vielfalt der Teufelsbildlichkeit – wie sie beispielsweise an der Ikonographie der ‚Versuchungen des hl. Antonius‘ oder auch noch an der der Faustus-Historie zu studieren ist – schwindet im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts rapide und reduziert sich auf das Satyros-Bild. Der ikonographische Schwund, der mit einer dämonologischen Entmachtung einherging, wurde durch naturwissenschaftliche, vor allem medizinische Einsichten gefördert, wenn beispielsweise krankheitsbedingte Wahnphänomene nicht mehr durch Exorzismen bekämpft, monströse Phänomene nicht mehr als dämono-magische Wunder, sondern als genetisch bedingte Fehlbildungen, also als Naturphänomene verstanden wurden.
Aby Warburg haben immer auch Überreste magischer Praktiken interessiert. Gibt es Ihrer Meinung nach auch nach der Frühen Neuzeit denn womöglich noch Residuen diabolischer Bildermacht? Vielleicht gar in unserer Gegenwart?
Gewiss, Wissenschaftsdifferenzierung und Technologie machen dem Teufel nicht schlicht den Garaus, sondern drängen ihn oft nur in andere Bereiche. Mit Warburg bin ich der Überzeugung, dass es Überreste magischer Praktiken gibt, und dass es sinnvoll ist, ihre Herkunft zu eruieren und die Bedingungen ihres Fortbestehens zu ermitteln. Ein Hauptgrund ihres Fortbestehens ist z.B. das kontinuierliche Weiterwirken der christlichen Kirchen, in deren Glaubenslehre und rituellen Praxen Magisches – und so auch der Teufel – unverzichtbar sind.
Beachtung verdient aktuell besonders, wie und wo magische Praktiken erstarken, wenn unterschiedliche Religionen und Kulturen – christliche, muslimische, afrikanische, ostasiatische – heute in Europa aufeinandertreffen und sich hier bekämpfen oder auch vermischen.
Weitere Motive zu einem Wiedererstarken totgeglaubter magischer Vorstellungen und Praktiken oder zum Entstehen ganz neuer magischer Modelle sehe ich in der ständigen Innovation von sogenannten Kommunikationsmedien sowie in der steigenden Dominanz technisch hochkomplexer Medien. Die meisten von uns bedienen sich solcher Medien, ohne sie technisch auch nur ungefähr zu verstehen. Diese Medien beschießen uns ständig mit Bildern und entfremden uns gleichzeitig unserer nächsten Umgebung.
Sie haben viel über die Faszination und das Eigenleben von Technik, Mechanik und Maschinen gearbeitet – Was hat Sie daran interessiert, was lässt sich daran beobachten?
Eine Wechselgeschichte von artes liberales und artes mechanicae war immer gegeben. Erst seit dem 18. und verstärkt im 19. Jahrhundert wurden Geisteswissenschaften und Technikwissenschaften – auch institutionell – strikt auseinandergehalten. Mir scheint, dass diese Trennung, die aus Gründen der Arbeitsteilung in Partialbereichen vorübergehend durchaus sinnvoll war, nicht mehr rigide aufrecht erhalten werden sollte. Sie sollte vielmehr ständig neu überdacht und korrigiert werden. Wie unergiebig und methodisch fragwürdig die Trennung sein kann, wird beispielsweise an einer Kunstgeschichte deutlich, die zwar die Geschichte der Sakralbauten, auch noch der des 20. Jahrhunderts, zu ihrer Sache erklärt, sich aber einer Untersuchung der Geschichte des Automobildesigns entschlägt. Übrigens bin ich der Meinung: Medieninnovationen sollten nicht nur Gegenstand von Geschichte der Schönen Künste sein, sondern auch das Untersuchungsinstrumentarium selbst modifizieren.
Da möchte ich weiterfragen: Das Warburg-Haus verfügte bei seiner Eröffnung im Jahre 1926 über einen für ein vergleichsweise kleines Haus hohen Grad an Technisierung: einen Personenfahrstuhl, zwei Bücheraufzüge, Rohrpost, 28 Telefonapparate u.a.m. Wie würden Sie diese Engführung von Technik und Wissenschaft, die Warburg anstrebte, bewerten? Was würde sie heute bedeuten?
Aby Warburg wollte in seinem speziellen kulturwissenschaftlichen Forschungsinstitut den technischen Standard haben, den seine Bankiersbrüder in ihren Bankhäusern für Steuerung und Abwicklung von Finanzgeschäften und Geldverkehr entwickelt hatten. Ob er damit zugleich einen Wissensverkehr sich vorstellte, der in seiner Intensität und Maximierungsorientierung sich in einer Art von Wissensverzinsung niederschlagen sollte, wage ich nicht zu sagen. Warburgs Orientierung auf die neueste Kommunikationstechnik, die er in sein Institut eingebaut hatte, hätte ihn gewiss, wenn er länger gelebt hätte, mit ständigen Innovationsansprüchen konfrontiert. Der technologische Imperativ, dem er sich ausgesetzt hatte, ist ja nicht nur als optimistisch utopisches Versprechen, sondern auch als Zwang, der die eigene Steuerungsfähigkeit minimiert, zu lesen – ein Dilemma, das auch heute noch fortwirkt.
Sie haben sich, wie Ihre Publikationsliste ausweist, historisch breit und grundsätzlich mit der Geschichte der Mnemonik befaßt. Wie verhält sich Ihr Interesse an Mnemonik zu Ihrem Acheiropoiesis-Projekt? Und sehen Sie Verbindungen zum Mnemosyne-Projekt Aby Warburgs?
Ich bin nicht so verwegen, meine Bemühungen um eine Rekonstruktion der Geschichte der europäischen Gedächtniskonzepte von der Antike bis zum 18. Jahrhundert mit Aby Warburgs Mnemosyne-Konzept, wie es insbesondere aus seinem Bilderatlas spricht, in Verbindung zu bringen. Wo es Warburg darum ging, mit seinem Bilderatlas ein eigentümliches Instrumentarium zur bildgeleiteten Erforschung des Nachlebens der Antike auf dem Felde der europäischen Kultur bereitzustellen, da ging und geht es mir mit meinem Editionsprojekt der ‚Documenta mnemonica‘ lediglich darum, Textdokumente zusammenzustellen und zweisprachig zu edieren. Zwei Dokumentbände zur Geschichte der Bildmnemonik befinden sich gerade in Arbeit – konzipiert habe ich sie schon und auch eine Bilddatei angelegt, die die Illustrationen der mnemotechnischen Traktate des 15. bis 17. Jahrhunderts zusammenstellt. Es geht dabei um zwei Arten von Bildern: erstens solche, die das Gedächtnis als physiologischen Ort darstellen (z.B. Hirnkammerschema, Herzschema, Hand u.a.); zweitens um solche, die in das Gedächtnis implementiert werden sollen (z. B. Schreckbilder, Groteskbilder, blickende Bilder, erotisierende Bilder, Geleitbilder u.ä.). Es handelt sich da mithin um Bildarten, die im Mnemosyne-Atlas keine Berücksichtigung fänden. Eine Verbindung von Acheiropoiesis-Problem und Mnemonik-Problem ergibt sich da, wo bildgeleitete Erinnerung auf Imaginationspsychologie baut und also nach der Kondition innerer Bilder in Akten des Wiedererkennens, aber auch in Vision, Traum oder Wahn fragt.
Genug der Auskünfte?
Nur vorerst – wir freuen uns auf die ausführliche Vorstellung Ihrer Arbeit in Ihrem Vortrag am 17. Mai, danken Ihnen für das Gespräch und wünschen weiter ertragreiche Tage im Warburg-Haus!