Journal
Landschaft beschreiben
Mit dem Warburg-Kolleg "Memorial Landscapes" in Taipeh I
Unerwartet ist die Lautstärke, das unablässliche Rauschen, mit dem sich der tiefgraue Liwu-Fluss durch die hochaufragenden Felsen schiebt und dort in Jahrmillionen seinen Weg durch die erodierten Marmorschichten hindurch gefunden hat. Dort in der Taroko-Schlucht, unweit von Taipeh gelegen, nimmt das bislang abstrakte Begriffspaar „Stein“ und „Wasser“ als die beiden im Chinesischen für „Landschaft“ (shanshui) verwendeten Zeichen für mich konkrete Form an. Landschaft beschreiben, das heißt den Materialitäten, Qualitäten und nicht zuletzt den visuellen und körperlichen Erfahrungen nachzugehen, welche mit der Landschaftserfahrung verknüpft sind und in die Bildfindungen einfließen. Mit dem Ziel, Landschaftsmalerei in einer transkulturellen Perspektive zu denken, bin ich mit weiteren elf NachwuchswissenschaftlerInnen zum Warburg-Kolleg „Memorial Landscapes” nach Taipeh gekommen. Der Lärmpegel der Taroko-Schlucht kommt mir immer wieder im Verlauf des ersten Seminartages in Erinnerung, schiebt sich über die still-gestellten Bilder der chinesischen Tuschemalerei in der ersten Präsentation von Julia Orell (Taipei/Vancouver). In ihrem Vortrag zur historischen Geographie und Landschaftsmalerei der Song-Dynastie (960-1279 n.d.Z.) geht sie anhand von Darstellungen des Jangtse, des längsten chinesischen Flusses, dem Zusammenspiel von Landvermessung, Kartographie, territorialen Raumordnungen und der den Orten eingeschriebenen Geschichtlichkeit nach. Der Fluss durchzieht die Bilder als Versorgungsader und Chiffre der agrikulturellen Angewiesenheit des Menschen auf seinen Umgebung, als politische Grenze des riesigen Reiches und als Transportweg für Reisende und Literaten, auf der auch Bilder und symbolische Vorstellungen reisen. Diese symbolischen Vorstellungen, die an Landschaft angelagert werden können, stehen auch im Fokus meines Vortrages zum Ausstattungsprogramm der Sala dei Sette Colli in der Villa Giulia in Rom. Rom liegt auf sieben Hügeln – in diesem vielbemühten Topos zu den Anhöhen der Stadt stellt sich neben die geologische Permanenz der Berge zugleich ein Moment der kulturellen Codierung und Identitätskonstruktion. Meine Auseinandersetzung mit Landschaftsmalerei in der italienischen Renaissance kreist um die Frage, wie die (Stadt-)Landschaft in Ortsnamen, Bildern und schließlich in Räumen geformt wird, wie Qualitäten der Naturerfahrung ins Bild überführt werden können und was sich der Repräsentation entzieht. Ähnlich führt auch Marie-Louise Monrad Møller (München/Leipzig) in ihren Vortrag zur norwegischen Landschaftsmalerei mit einer Identitätskonstruktion durch eine geteilte Landschaftserfahrung ein: Auf den 2014 vorgestellten neuen norwegischen Reisepässen prangt das Hologramm des Polarlichts vor einer Fjordlandschaft. Wie diese Vorstellung einer identitätsstiftenden Landschaft im 19. Jahrhundert geprägt wurde, macht sie anhand des Malers und Denkmalpflegers Johan Christian Dahl deutlich, dessen engagierter Einsatz für den Erhalt der mittelalterlichen Stabkirchen und der norwegischen Hünengräber sich in deren Memorialisierung in der Landschaftsmalerei einschreibt. Die Vorstellung von Landschaft als zeitüberspannender Begegnungsraum steht auch im Mittelpunkt des Vortrags von Ina Jessen (Hamburg) zur Landschaftsmalerei von Otto Dix zwischen 1933-1945. Während seiner Inneren Emigration bietet sich für Dix im gemalten Blick über den Bodensee eine Möglichkeit, aus der eigenen Isolation heraus über die Kunst in Gemeinschaft mit Künstlern der deutschen Malereitradition zu treten und sich über das Kontinuum der Natur einen Raum jenseits der aktuellen nationalsozialistischen Zeitordnung zu eröffnen. Yanfei Zhu (Dahlonega) fragt in seinem Vortrag nach den motivischen, stilistischen und maltechnischen Kontinuitäten und Verschiebungen im sozialistischen Rückgriff auf die traditionelle, in Tusche ausgeführte chinesische Landschaftsmalerei. Zum Abschluss des ersten Tages blicke ich im Abendvortrag von Uwe Fleckner (Hamburg) zu Thomas Hills „View of the Yosemite Valley“ wiederum auf den blanken Fels der Steilhänge, der von den Kräften der Erosion und Verwerfungen in Zeitspannen geformt wurde, die sich der Visualisierung entziehen. Gleichzeitig blicke ich auf von Menschenhand geformte Landschaft: Landschaft zu beschreiben umfasst auch Ideologien der Landschaft als vermeintlich unberührter Raum, als Frei-Raum für das nationale Manifest Destiny, als schützenswerter wilder National Park. Durch die Tradition der klassischen Landschaftsmalerei formt sich dieses „Bild“ des grünen Yosemite Valley zwischen den Felsmassen, welches durch frühe Fotographien und durch festgestellte Blickpunkte für die Touristen bis heute fortgeschrieben wird.
Isabella Augart
Warburg-Kolleg