Journal
Metabolismen. Nahrungsmittel in der Kunst
Bericht zur Tagung im Warburg-Haus am 16. und 17. November 2017
Am 16. und 17. November 2017 fand der von Ina Jessen und Isabella Augart konzipierte und organisierte Workshop Metabolismen. Nahrungsmittel in der Kunst in Kooperation des Dieter Roth Museums und des Warburg-Hauses (Kunstgeschichtliches Seminar, Universität Hamburg) statt. An beiden Tagen wurden wissenschaftliche und kuratorische Aspekte und Perspektiven in Bezug auf die Materialität von Kunstwerken kontextualisiert. Vor dem Hintergrund kunsthistorischer und kultureller Zusammenhänge nahmen die Teilnehmenden Nahrungsmittel als Werkstoff und Motiv sowie die jeweiligen Metabolismen, verstanden als „Stoffwechsel“, zwischen realen Verfallsprozessen bis hin zu kulturell variablen Wertbeimessungen in den Fokus. Ursprung und Vergänglichkeit, Aggregat- und Reifezustände von Nahrung als organischem Material sowie die damit einhergehenden ästhetischen und sinnlichen Reize in der Kunst- und Kulturgeschichte stellten die zentralen Themen in der Auseinandersetzung mit der Materialität von Nahrungsmitteln als Werkstoff und Darstellungsmotiv der künstlerischen Praxis zwischen Barock und Gegenwart dar.
Zum Auftakt der Veranstaltung wurden im Dieter Roth Museum die ephemeren Lebensmittel-Arbeiten des Künstlers in den Blick genommen und inhaltlich ausgehend von einer objektorientierten Diskussion in der Kleingruppe das facettenreiche Feld der Workshop-Themen eröffnet. Somit konnte neben dem inhaltlichen Auftakt zudem die diskursive und gemeinschaftliche Basis für eine produktive Zusammenarbeit der Vortragenden geschaffen werden, die anschließend im Rahmen der Vorträge im Warburg-Haus Fortführung fand.
Die mit der Lebensmittelproduktion einhergehenden, internationalen Ursprünge und globalen Verwebungen verweisen auf ebenso globale wie politische, soziale, ökonomische und ökologische Aspekte und auch Konflikte. Diese können für ein Kunstwerk bzw. die Ikonologie eines Materials oder die Entstehung eines Objektes von Bedeutung sein. Entsprechende politische Ebenen thematisierte Isabelle Busch in ihrem Beitrag Don’t be a Chocolate Soldier – Politiken von Nahrungsmitteln in Israel und Palästina und ihre künstlerische Reflexion, in dem sie Arbeiten unterschiedlicher nationaler Lokalisierung in einer in Deutschland zu zeigenden Ausstellung verhandelte. Sie stellte die Frage auf, wie die Kreisläufe von Nahrungsmitteln in globalen Strukturen kuratorisch vermittelt werden können. Mit dem Beispiel israelischer und palästinensischer Konflikte um kulinarische Traditionen, die in künstlerischen Arbeiten etwa von Larissa Sansour aufgezeigt werden, eröffnete Isabelle Busch eine ebenso aktualitätsbezogene wie lebendige Diskussion.
Zu Bedeutungskonstruktionen von Nahrungsmitteln als Material in der Kunst und zur Frage, inwiefern diese ein Kunstobjekt prägen, referierte Fabiana Senkpiel in ihrem Vortrag Einverleibungen – Interpikturale Bezugnahmen und intermediale Verfahren durch Lebensmittel in der Gegenwartskunst. Mit dem Begriff der Einverleibung setzte sie interpikturale und intermediale Bildrelationen ins Verhältnis zueinander und rekurrierte zudem auf rezeptionsspezifische Kausalzusammenhänge. Gegenwärtige ästhetische Praktiken und mediale Zugänge durch und mit Nahrungsmitteln am Beispiel der Positionen der Schweizer Künstlerinnen Isabelle Krieg sowie Celia und Nathalie Sidler waren in Vortrag und Plenumsdiskussion von zentraler Bedeutung.
Materialspezifika im Sinne von werkimmanenten Transformationsprozessen sind im Verwendungskontext von Nahrungsmitteln in künstlerischen Arbeiten signifikant. Sie stellen die Prozessualität des Werkstoffs in den Fokus, beispielsweise in Hinblick auf die jeweilige Semantik und Ikonologie. Ursula Ströbele nahm in ihrem Beitrag Metabolische Zersetzungs- und Wachstumsprozesse mit Nahrungsmitteln in skulpturalen Arbeiten unterschiedliche Stoffwechselprozesse sowie deren Bedeutung zur Betrachtung der jeweiligen Objekte in den Blick. Werkstoffe unterschiedlicher Aggregatzustände wie etwa ausgeschiedene Flüssigkeiten, die den metabolischen Prozess bereits durchlaufen haben, stellen ihren Analysegegenstand dar. In diesem Zusammenhang untersucht sie den jeweiligen künstlerischen Umgang und spannt zudem ethische und umweltpolitische Kontexte auf.
Über visionäre Aspekte referierte Inka Lusis in ihrem Vortrag Plastik – ein spekulativer Metabolismus im Ecosystem of Excess über Pinar Yoldis gleichnamige Arbeit von 2014. Das Material Plastik als Nahrungsmittel zu sondieren ist ebenso in körperlicher, metabolischer Hinsicht wie auch in Anbetracht von ökologischen Prozessen relevant. Welche aktuellen öko- bzw. biopolitischen Diskurse daraus resultieren, stellte einen leitenden Gesichtspunkt in diesem Zusammenhang dar.
Der Abendvortrag – für den wir Barbara Uppenkamp gewinnen konnten – nahm mit dem Titel Entschuldigung, Sie haben da ein totes Tier im Essen die Architektur des Hamburger Zentralschlachthofes im 19. und 20. Jahrhundert in den Blick. Damit wurde neben den kuratorischen, bedeutungs- und materialspezifischen sowie visionär basierten Fragestellungen des Tages ein Brückenschlag zu den Produktionsgegebenheiten von Lebensmitteln realisiert und damit eine Grundvoraussetzung von metabolischen Prozessen der Kunst aufgezeigt.
In den Vorträgen des zweiten Tages wurden zunächst Ordnungsmuster und Kategorisierungsbestrebungen im Hinblick auf Nahrungsmittel herausgearbeitet. Wie sich im Herbarium, in der Sammlung konservierter Pflanzen bzw. Pflanzenteile, Fragen nach der Sammlung, Kategorisierung und Bewahrung von Pflanzen, nach Verschiebungen zwischen Naturprodukt und gezüchtetem Kulturgut und nach politischen Aushandlungen von Nahrung, Ressourcenzugang und Nahrungsvielfalt bündeln, erläuterte Magdalena Grüner in ihrem Vortrag Pia Rönicke. The Pages of Day and Night – Das Herbarium als Forschungsinstrument und Datenbank. Mit Blick auf die Kolonialgeschichte als Forschungsinstrument stellte sie eine zeitgenössische Position dar, welche den aktuellen Umgang mit schützenswerten Samen und Pflanzen aus Syrien und anderen Kriegsschauplätzen freilegt.
Gesund und ungesund, lecker und geschmacklos – der menschliche Blick auf die Vielfalt von Nahrungsmitteln lässt sich noch zuspitzen im Ordnungsmuster appetitlich und eklig. Ekel gilt gemeinhin als Abwehrreaktion vor verschimmelten und verdorbenen Lebensmitteln und vor Verwesungsprozessen. Mit der Frage Gibt es ein kunstbezogenes Ekelgefühl? beschäftigte sich Tobias Weilandt in seinem Vortrag.
Bezüge zwischen Kunst und Gastronomie wurden in einer weiteren Sektion des Workshops freigelegt. Mirja Straub beschäftigte sich mit Rikrit Tiravanija, der als Künstlerkoch vor und für Betrachterinnen und Betrachter in Galerien und Kunstvereinen kocht, sie probieren lässt und sie dadurch selbst zum Teil seiner künstlerischen Praxis werden lässt. In ihrem Vortrag GESCHMACKSDIMENSIONEN. Kochen als künstlerisches Statement bei Rikrit Tiravanija erörterte sie die historischen, sozialen und kulturellen Dimensionen für die jeweilige Auswahl der Nahrungsmittel und Rezepte von thailändischem PadThai bis hin zur schwäbischen Flädlesuppe, die der Künstler zubereitet.
Felix Bröcker stellte in seinem Vortrag Nahrungsmittel als Medium und Material in Kunst und Küche die visuelle Inszenierung von Essen in der Kunst und in der Spitzengastronomie in verschiedenen Positionen des 20. und 21. Jahrhunderts vor. Materialität und Materialveränderung fasziniert in beiden Bereichen und wird durch kulturelle Techniken kontrollierbar und nutzbar. Am Umgang mit den Nahrungsmitteln zeigte er auf, wie in Kunst und Küche gesellschaftliche Veränderungen und Wertbeimessungen zu Nahrungsmitteln wie etwa Lokalität, Luxus oder Ursprünglichkeit abgebildet werden.
Transformationen des Menschen respektive des Künstlers wurden im letzten Block des Workshops diskutiert. Maurice Saß beschäftigte sich in seinem Beitrag Vor allem sich selbst einschenken und bis zur Berauschung davon trinken – Nashorn-Pokale als Preziosenstücke mit der Materialität von Tischgeschirr, welches aus dem Horn von Nashörnern gefertigt wurde. Der Status des exotischen Tieres spielt bei höfischen Festen ebenso eine Rolle wie die skulpturale Bearbeitung und die pharmazeutische Bedeutung des tierlichen Materials. Als letzte Vortragende behandelte Johanna Mocny schließlich den Rausch als Dimension des Metabolismus. Wie eng Trinkkunst und Kunst im Zeitalter des Barock miteinander verbunden sind, zeigte sie in ihrem Beitrag Alkoholkonsum und –rezeption im Goldenen Zeitalter der niederländischen Republik anhand von Gläsern und anderen Zeugnissen materieller Kultur, Illustrationen in Weinanbau- und Bierbrautlehrbüchern, Kunstliteratur und Bildwerken auf.
Abgeschlossen wurde der Workshop mit einer gemeinsamen Diskussion des Begriffes “Metabolismen“. Die Relevanz der Fragestellung nach „Metabolismen“ in der Materialität, Materialsemantik und Materialtransformation von Nahrungsmitteln in der Kunst wurde durch die vorgestellten historischen wie auch aktuellen Positionen in einem objektorientierten Zugriff veranschaulicht. Die Vortragenden machten deutlich, inwieweit in den einzelnen diskutierten künstlerischen Positionen der Begriff „Metabolismen“ dabei erstens die biologische Sinndimension des „Stoffwechsels“ im Kontext von (menschlicher) Nahrungsaufnahme und Nahrungsverwertung als Grundbedingung des Lebens umfasst, zweitens den „Stoffwechsel“ des (künstlerischen) Materials selbst zwischen Wachstum, Reifen, Verfall und Verwesung einerseits, zwischen Zubereiten (Garen, Distillieren, Braten) andererseits begrifflich fasst und drittens auch die kulturelle, historische und soziale Dimension von an Nahrungmittel herangetragenen Wertvorstellungen, Geschmacksdimensionen und Ordnungsmustern zu verstehen hilft.
Isabella Augart, Ina Jessen