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„Symbol für die, die nach uns kommen werden“
Warburg und Cassirer II
Wir wissen, dass Aby Warburg seinen Kollegen Ernst Cassirer aus der Philosophie über die Maßen geschätzt hat. Und wir wissen, dass die hohe Wertschätzung auf Gegenseitigkeit beruhte. Wie viel Cassirer seinem kollegialen Freund Warburg galt, das wird an einer unüberbietbaren Notiz vom Mai 1927 deutlich. Saxl berichtet da: „Cassirer braucht Bücher über Mathematik (Zahl!) und theoretische Physik, mit denen er sich scheut, die B.W. zu belasten. Ich bat ihn um eine Liste, weil doch ein Teil davon sicher für uns geeignet wäre. Warburg: Wenn die Liste Cassirers nicht zu sehr „in dem Gelde läuft“ unbedingt alles anschaffen. Denn Cassirer ist ein zielweisendes Symbol für die die nach uns kommen werden, des wir doch nur die „lieutenants“ sind.“ (GS VII, 94) Das Genitivpronomen „des“, hier inversiv eingesetzt wie etwa in dem Sprichwort „Des Brot ich ess, des Lied ich sing“, bezieht sich offenbar auf Cassirer, und dann bedeutet die Formulierung: Wir sind doch nur seine, Cassirers, Unteroffiziere. Die Metapher weist Cassirer gleichsam seinen Posten auf dem Befehlsstand der Forschungsfront an; gleichzeitig wird mit einer anspielungsreichen Ironie, die für Warburgs Scharfsinn charakteristisch ist, der Autor der Philosophie der symbolischen Formen selbst ausgezeichnet als ein zielweisendes Symbol für die die nach uns kommen werden.
Es war etwa ein Jahr nach dieser Notiz, dass Cassirer einen Ruf an die Universität Frankfurt erhielt. Da fühlte sich Warburg genötigt, die Hamburgische Universität öffentlich in die Pflicht zu nehmen und schrieb am 23. Juni 1928 im Hamburger Fremdenblatt seinen legendären Artikel „Warum Hamburg den Philosophen Cassirer nicht verlieren darf“ – ein hilfreicher Beitrag für – wie wir wissen – erfolgreiche Bleibeverhandlungen.
Ein weiteres Jahr später, 1929, starb Aby Warburg ganz plötzlich im Alter von nur 63 Jahren. Ernst Cassirer hielt als Rektor der Universität bei der Trauerfeier am 26. Oktober 1929 den Nachruf auf einen leidenschaftlichen Forscher, der – so heißt es wörtlich: „in sich selbst und an seinem persönlichen Beispiel den großen Gedanken der Universitas litterarum klar und leuchtend vor uns hin“ gestellt habe (Nachruf ECW 17, 368). Auch Cassirer sieht also in Warburg ein Symbol, den exemplarischen Repräsentanten eines großen Gedankens. Und das große sich in allen seinen Forschungsfragen durchhaltende Thema sei für Aby Warburg „[d)er Gegensatz und die innere Spannung von Freiheit und Notwendigkeit“ gewesen (Nachruf ECW 17, 371). Deutlicher konnte Cassirer die geistige Verbundenheit mit Warburg nicht machen – denn genau dies: die innere Spannung von Freiheit und Notwendigkeit, ist von der gestaltpsychologisch inspirierten Analyse der Spontaneität im Modus der symbolischen Prägnanz bis zur Betonung der Dialektik von Tradition und Innovation im Essay on Man das systematisch durchgeführte Thema seiner eigenen Philosophie der Kultur. Und natürlich war es keine beliebige Wahl gewesen, dass Cassirer am 1. Mai 1926 den Festvortrag zur Eröffnung dieses Hauses über „Freiheit und Notwendigkeit in der Philosophie der Renaissance“ gehalten hatte.
von Birgit Recki
anlässlich der Tagung „Ernst Cassirer: Einflüsse, Rezeptionen, Wirkungen“ der Internationalen Ernst-Cassirer-Gesellschaft