Tagebuch
„Die Genesis der Ikonologie“
William Heckschers Vortrag in Bonn 1964
„Iconology – Method – is there a method?!?” – notierte William Heckscher auf einem jener typischen querformatigen Zettelchen, die er häufig für seine Aufzeichnungen verwendete. Das Papier ist Teil eines kleinen Konvoluts ähnlicher Blätter, die Heckscher zusammen mit Manuskripten, Typoskripten, Fotoabzügen, Literatur- und to-do-Listen aufbewahrte, und mithilfe derer er seinen Vortrag „The Genesis of Iconology“ für den XXI. Internationalen Kongress zur Kunstgeschichte 1964 in Bonn vorbereitete. Die Frage, ob Heckscher die Ikonologie in seinem Text explizit als Methode beschreibt, diskutierten wir im Seminar „Verzettelt und Vernetzt. William Heckscher und Erwin Panofsky“. Das im Heckscher-Archiv in den Kästen 95 und 96 verwahrte Material zur „Genesis der Ikonologie“ erlaubte einen ersten Einblick in die Arbeitsweise Heckschers und das Verhältnis zwischen seinem Arbeitsmaterial und dem schließlich erschienen Aufsatz. In diesem datierte Heckscher die Entstehung der Ikonologie auf den Oktober 1912 und bezog sich damit auf den zu diesem Zeitpunkt gehaltenen Vortrag Aby Warburgs über das Freskenprogramm im Palazzo Schifanoia zu Ferrara beim X. Internationalen Kongress für Kunstgeschichte in Rom 1912.
Heckscher bettete Warburgs Vortrag ein in kulturgeschichtliche Ereignisse der Zeit, von der ersten großen Psychoanalysekonferenz 1910 in Nürnberg über den Sozialistenkongress in Basel, Einsteins Ausweitung der speziellen Relativitätstheorie zu einem allgemeinen System bis hin zu Otto Lilienthals Studien über den Vogelflug und den Untergang der Titanic 1912. Barrieren würden durchbrochen, Synthesen führten auf verschiedenen Ebenen zu neuen Ergebnissen, konstatierte Heckscher. Und Grenzen zu überschreiten, etwa zwischen Text und Bild oder zwischen den Disziplinen, und assoziativ zu denken, zeichne auch Warburg aus. Dem „freien Spiel der Vorstellungskraft“, der „angeborenen Intuition“ und der „zufälligen“ „geistigen Verknüpfung“, die er in Warburgs Arbeit an entscheidenden Punkten am Werk sah, widmete sich Heckscher ausführlich.
Sein Text schließt einen Abschnitt zu Entwicklungen der Kunst um 1912, zu Marc, Duchamp sowie Picasso und Braque mit ihren Collagen an: „Ich empfinde manche Übereinstimmung zwischen Erscheinungen der modernen Kunst und der von Aby Warburg propagierten Methode als sehr anregend.“ Zu diesem Ansatz einer Warburgschen Kunstgeschichte gehörte, sich auch und gerade mit den Wandbildern der schwächeren Künstler zu befassen und später auch nicht künstlerische Bilder in den Blick zu nehmen. Seine Parallele in der Kunst finde dies, so Heckscher, in der Integration von bisher nicht kunstwürdigem Material wie Zeitungsausschnitten in Collagen.
Heckscher endet nach seinen Ausführungen zu Warburgs Vorgehen mit eindem Eingeständnis – und einem Paradox: „Was […] immer noch Schwierigkeiten bereitet, wenn nicht sogar unmöglich scheint, ist das Vorhaben, mit einigen Worten eine zufriedenstellende Beschreibung der ikonographischen Methode zu geben. Sollte uns das bedrücken? […] ‚Die Diskussion der Methode vereitelt ihre Anwendung.‘“
hoi
William Heckscher