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Kampf der Giganten |
Die Davoser Disputation 1929
zwischen Ernst Cassirer und Martin Heidegger |
Von Birgit Recki |
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Inhalt |
I. Der Bürger und der Revolutionär
II. Endlichkeit und Transzendenz
III. Angst und Freiheit
IV. Zwei Reden |
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I. Der Bürger und der Revolutionär |
"Humboldt - Kultur. Humboldt - Kultur" - und: "Ich
bin versöhnlich gestimmt." Wo es allein darum ging, den Dargestellten
treffend zu charakterisieren, da durfte sich der Einsatz des
jugendlichen Kabarettisten auf solche markanten Sprüche beschränken.
Dazu schüttelte der junge Mime mit pathetischen Kopfbewegungen
reichlich Mehl aus einer üppigen Mähne. Die angeborene
Grauhaarigkeit aller bloßen Gelehrsamkeit, über die sich schon der
jugendbewegte Friedrich Nietzsche beklagt hatte, schien den Jüngeren
im Objekt ihres satirischen Angriffs verkörpert. Gemeint war Ernst
Cassirer, seit 10 Jahren Ordinarius für Philosophie an der jungen
Reformuniversität Hamburg, der sich mit seinem Freiburger Kollegen und
Widersacher Martin Heidegger vom 16. März bis 6. April 1929 in die
Leitung der Davoser Hochschulwochen geteilt hatte. Dem Publikum
dieses anspruchsvollen Ferienkurses, einem mit studentischen
Schlachtenbummlern gut durchmischten sportlichen Bildungsbürgertum,
war in den zurückliegenden Wochen einiges geboten worden. Die beiden
professoralen Kursleiter hatten ihre philosophischen Ansätze in einer
Reihe von Vorträgen dargelegt. Die Veröffentlichung von Heideggers
"Sein und Zeit" lag zwei Jahre zurück, das Buch war als der
Triumph über die Subjekt- oder Bewußtseinsphilosophie, auch des in der
akademischen Philosophie dominierenden Neukantianismus, verstanden
worden. Heidegger hatte in Bausch und Bogen die an der Situation der
Erkenntnis orientierte Fragestellung der abendländischen Philosophie
für einen Skandal erklärt, weil mit ihr die kopflastige Trennung von
Subjekt und Objekt in die Fundamente des Verständnisses von
Wirklichkeit eingebaut wäre - eine Trennung, die nach seiner Einsicht
dem ganzheitlichen In-der-Welt-Sein des menschlichen Daseins
zuwiderliefe. Ihm war es um die elementare Bezogenheit zu tun, die er
im praktisch-pragmatischen Umgang mit den Dingen – der "Zuhandenheit
des Zeugs" -, in der Sorge eines zum Tode bestimmten Wesens um seine
unmittelbare Existenz und in einer Freiheit sieht, die sich nicht
anders zeigt als von Fall zu Fall im unvermittelten Aufbruch des
Augenblicks.
Auch Cassirer hatte seine ganz anders ausgerichtete
Position einer am Funktionsbegriff des Menschen interessierten
Kulturphilosophie weitgehend entwickelt; die "Philosophie der
symbolischen Formen" war in den beiden ersten, der Sprache und dem
Mythos gewidmeten Bänden 1923 und 1925 veröffentlicht, der dritte und
letzte Band über die Wissenschaft sollte im Herbst des Jahres
erscheinen. Für Cassirer ist der Mensch, wie er seinen Ansatz später
resümiert hat, das animal symbolicum, das sich, produktiv wie
rezeptiv, in der Vielfalt von symbolischen Weisen der Welterzeugung
die Wirklichkeit schafft, in der wir leben: die Kultur. In seiner
Untersuchung der Kultur wollte er - gegen die Tendenz des
wissenschaftstheoretischen Neukantianismus - die rationale Erkenntnis
keineswegs als Leitmodell auszeichnen, sondern neben Sprache, Mythos,
Religion und Kunst als eine kulturelle Form unter anderen analysieren,
und die Antwort auf die Frage nach dem Wesen des Menschen nirgend
anders suchen als in der Medialität der kulturellen Symbolismen.
Obwohl er sich damit auf den Weg zu einer
realistischen Theorie begeben hatte, galt der Schüler der Marburger
Cohen und Natorp im Grunde noch immer als der "Erkenntnis-Cassirer",
als der er sich schon früh einen Ruf gemacht hatte. Und die Insistenz
auf dem Faktum der Kultur in ihrer unhintergehbaren Pluralität, bei
Cassirer grundiert durch den Nachdruck auf der Dignität der Tradition,
wurde trotz der Neuheit des methodischen Ansatzes im Kontrast zu
Heideggers revolutionärem Pathos als alter Hut empfunden.
Zum Abschluß jenes philosophischen Kampfes der
Giganten zwischen zwei Denkern, die sich als Exponenten
unvereinbarer gedanklicher Welten gegenübertraten, gab es dann das
studentische Kabarett, in dem Otto Friedrich Bollnow die Rolle
Heideggers und Emanuel Lévinas den Part Cassirers gespielt haben. Die
jungen Leute, die der Disputation gefolgt waren, standen unter dem
Eindruck, einem show down beizuwohnen, in dem das Ende einer Epoche
besiegelt wurde; sie standen ganz auf der Seite Heideggers mit seiner
zeitgemäßen Radikalität; den liberalen Cassirer hatten sie erlebt als
einen, dem gleichsam schon der Kalk aus dem vorzeitig weißgewordenen
Kopf zu rieseln drohte. Daß auch Heidegger, dem in seiner
jugendbewegten Entschlossenheit die Herzen der Studenten zuflogen,
dabei noch sein Fett abgekriegt hätte, ist ein vordergründiger
Eindruck. Während der junge Levinas, den wir heute für seine Intuition
der Achtung vor dem Anderen rühmen, Cassirer als einen konzilianten
aber langweiligen Humanisten charakterisierte, legte der spätere "Tugend-Bollnow"
dem Objekt seiner Darstellung zwar den Satz in den Mund: "Interpretari
heißt eine Sache auf den Kopf stellen." Doch man muß eben wissen, daß
die Studenten, begeistert von einem hinreißenden Lehrer, der in
asymmetrisch geschnittenen Jacketts, gelegentlich sogar im Skidress in
der Universität auftauchte, nicht am historistischen Ideal der
Objektivität interessiert waren: Eine Sache in aller Radikalität auf
den Kopf zu stellen, das war eben genau das Sensationelle, wonach man
sich mit dem Erlebnishunger der Zwischenkriegsgeneration und mit der
wegwerfenden Geste eines Spenglerschen Untergangspathos sehnte. |
II. Endlichkeit und
Transzendenz |
Um welche Sache aber war es
eigentlich gegangen? Was hatte Kurt Riezler von der Universität
Frankfurt in seinem Bericht für die Neue Zürcher Zeitung auf die Idee
bracht, in der Davoser Disputation jenen weltanschaulichen
Streit wiederzuerkennen, den in Thomas Manns 5 Jahre zuvor
erschienenem Zauberberg der liberale Aufklärer Settembrini und
der putschistische Jesuit Naphta führen, bis dieser seine
irrationalistische Todesverliebtheit in die Tat umsetzt? Auffällig war
an der Auseinandersetzung, daß Heidegger sich vor allem auf Fragen der
Kantinterpretation konzentrierte; aus seinen Davoser Überlegungen ging
schon wenig später das Buch "Kant und das Problem der Metaphysik"
hervor. Cassirer hingegen, in Fragen der Kant-Interpretation ohnehin
kaum zu überraschen, stellte sich mit seinen bis heute im Nachlaß
verwahrten Beiträgen der Herausforderung, die vom Werk des jüngeren
Kollegen ausging - mit Vorträgen über den Raum, über die Sprache, über
den Tod und über Geist und Leben bei Scheler. Sicherlich verdient es
festgehalten zu werden, daß beide Gesprächspartner Kant als
Kronzeugen für ihren eigenen Ansatz beanspruchen, und es hat fast
etwas Amüsantes, wie Heidegger seine Überlegenheit ausgerechnet daran
zu demonstrieren sucht, daß er dem größten Vertreter der längst
überwundenen Subjektphilosophie seine eigene systematische Intuition
zu imponieren vermag. Ist Kant ein Denker der endlichen Vernunft oder
der Transzendenz? "Ontologie ist ein Index der Endlichkeit," hält
Heidegger dem anderen entgegen unter Berufung darauf, daß bei Kant der
Anteil der - auf sinnliche Eindrücke bezogenen - Einbildungskraft an
der Erkenntnis die Endlichkeit des erkennenden Vernunftwesens bekunde.
Er will den Begriff der endlichen Vernunft für seine eigene
Daseinsanalytik reklamieren, der es in letzter Instanz um die Immanenz
des Augenblicks zu tun ist. Für Cassirer, den gelehrten Herausgeber
und Interpreten Kants, hat dieser Hinweis auf Endlichkeit nichts
Aufregendes - aber mit Blick auf die praktische Existenz auch nicht
das letzte Wort: Für ihn ist es der Begriff der Freiheit, der
mitten in der Endlichkeit die Aussicht auf Transzendenz vermittelt:
Hier wird das endliche Wesen relativ auf einen absoluten Anspruch
gedacht - an dem es selbst partiziert. Denn es ist die Kultur, in der
Cassirer diesen Anspruch verwirklicht sieht, und für seine
Verbindlichkeit zählt kein abstrakter Augenblick, sondern nur die
sorgfältige Wahrung der Dialektik von Tradition und Innovation. |
III. Angst und Freiheit |
Das Verhältnis zu Kant ist nur der
äußere Aufhänger des Gesprächs. Es gibt, wie wir im Blick auf die
Lebenswerke und die zeitgenössische Positionierung beider Denker
sehen, einen Subtext der Auseinandersetzung. Die Stichwörter sind:
Kultur, Angst, Kampf, Humanismus. Wenn es Heidegger letztlich darum
geht, "daß die Philosophie die Aufgabe hat, aus dem faulen Aspekt
eines Menschen, der bloß die Werke des Geistes benutzt, gewissermaßen
den Menschen zurückzuwerfen in die Härte seines Schicksals", dann ist
das nur unter anderem eine maliziöse Spitze gegen das Arbeitsgebiet
des Gegners: Für den rousseauistischen Fundamentalisten haftet der
Kulturphilosophie der parfümierte Geruch des allzu Luxuriösen an. In
dieser Alternative zwischen der Härte des Schicksals - der
"Nichtigkeit" des menschlichen Daseins, wie es auch heißt - und einem
bloß parasitären Partizipieren an der Kultur überspringt Heidegger
gerade das, worum es Cassirer geht: die produktive Aktivität. Sie ist
nicht nur in jedem schöpferischen Hervorbringen von Werken und Taten,
sondern auch in deren Aneignung zu investieren. Eine Sache - notfalls
in einem intensiven Augenblick die ganze, in ihrer Seinsvergessenheit
spießbürgerlich erstarrte Welt auf den Kopf zu stellen, oder sich der
unspektakulären Mühe ihrer Erhaltung und stets nur im Rekurs auf
Kontinuität legitimen Reform zu unterziehen: Das ist die Alternative,
die in der Konfrontation dessen, der mit Bedacht in der Provinz
bleiben wollte und dessen, der sich weigerte, Kultur gegen
Zivilistation auszuspielen, zur Disposition zu stehen schien.
Heidegger kennt nur die Angst - er will "den Boden zu einem Abgrund
machen", um den Menschen für den revolutionären Augenblick zu
disponieren. Cassirer knüpft zur Explikation seines Kulturbegriffs
nicht zufällig am Kantischen Freiheitsbegriff an: Für ihn ist die
ganze Kultur Form der Freiheit, und ihr Sinn, den Menschen produktiv
von der Angst zu befreien. |
IV. Zwei Reden |
"Humboldt - Kultur"
oder "eine Sache auf den Kopf stellen": Wer war hier naiv? Die
philosophischen Dimensionen des Disputs sind bis heute in ihrer
Aktualität nicht erschöpft. Ob, um gleich zur wichtigsten Frage von
allen zu kommen, in Davos wirklich die Bewußtseinsphilosophie den
tödlichen Stoß erhielt, bleibt – auch mit Blick auf die gegenwärtige
Renaissance repräsentationalistischer Theorien in der Philosophie des
Geistes - gelassen abzuwarten. Doch auch die politische Dimension der
Debatte ist noch aktuell, und in einer Hinsicht kündigte sich hier
gewiß das Ende einer Epoche an. In seiner Rede über "Die Idee der
republikanischen Verfassung" hatte Cassirer bei der Hamburger
Verfassungsfeier am 11. August 1928 die Ideengeschichte des modernen
Rechtsstaates entworfen. Gegen die Annahme eines deutschen Sonderweges
ging es ihm um den Nachweis, daß die Idee der republikanischen
Verfassung und damit die Menschenrechte ihren Ursprung auch in der
idealistischen deutschen Philosophie haben. Ein Jahr später, ein
halbes Jahr nach Davos, übernahm der Verfassungspatriot an der
Hamburger Universität das Amt des Rektors. Er führte die Amtsgeschäfte
des Studienjahres 1929/30 in demselben Geist der Kontinuität und der
Reform, in dem er sein ganzes Werk und Wirken verstanden hat. Doch
nach der Reichstagswahl im Januar 1933 brauchte der nüchterne
Zeitgenosse keinen Augenblick, um zu sehen, wie hier der Boden zu
einem Abgrund werden würde und kehrte dem revolutionären Deutschland
entschlossen den Rücken: Als im April das Gesetz zur Wiederherstellung
des Berufsbeamtentums in Kraft trat und dafür sorgte, daß jüdische
Hochschullehrer aus dem Amt gejagt werden konnten, waren Ernst
Cassirer und seine Frau Toni schon fast einen Monat außer Landes.
Martin Heidegger sah ungefähr in diesem Augenblick eine Chance, die
Einsichten seiner Philosophie fortan mit mehr Nachdruck vertreten zu
können. Seit Anfang Mai 1933 Parteigenosse der NSDAP, hielt er als
gerade gewählter Rektor der Universität Freiburg schon am 27. Mai 1933
die Rektoratsrede über "Die Selbstbehauptung der Deutschen
Universität".Wie sich Karl Löwith maliziös erinnerte, wußte man nach
dieser Rede nicht, ob man die Vorsokratiker studieren oder in die SA
eintreten solle. Von den Gesinnungsgenossen wurde sie aber als ein
wichtiger Beitrag zur "Hochschulreformliteratur" begrüßt. In direkter
Anknüpfung an die Anfänge der griechischen Philosophie, in denen sich
unverstellt von allen Interessen und institutionellen Verfestigungen
ein ursprüngliches und heroisches Verständnis von Wissenschaft als
Kampf um Wahrheit geltend gemacht hätte, äußert Heidegger hier die
Hoffnung, daß sich mit der "Herrlichkeit des Aufbruchs" einer
nationalsozialistischen Revolution nicht nur politisch eine völlige
Umwälzung des Lebens, sondern auch ein neuer philosophischer Anfang
verbinden ließe. Schon kurze Zeit später konnten die Zeitgenossen
Heidegger erleben – aus freien Stücken verstrickt in den kleinlichen
Betrieb der Denunziationen und Verfolgungen bei der völligen Umwälzung
der Universität. Vor dem "Bereinigungsausschuß" der Universität
Freiburg hat Heidegger 1945 zu seiner Rechtfertigung erklärt, er habe
an Hitler geglaubt. Eine wache Beobachterin wie Toni Cassirer hatte
das bei der Vorstellung von Davos vorausgesehen. | |