Prof. Dr. Michael Göring |
Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius |
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Sehr
geehrter Herr Präsident, lieber Herr Dr. Lüthje,
Sehr geehrter Herr Professor Orth,
Verehrte Frau Professor Recki,
Lieber Herr Meiner,
Sehr geehrte Mitarbeiter des Felix Meiner Verlags sowie der
Cassirer-Arbeitsstelle,
Meine sehr verehrten Damen und Herren! |
Die Ernst
Cassirer - Werkausgabe stellt zweifellos den Urgrund und das Leitprojekt
für einen kleinen, doch profilierten Arbeitsschwerpunkt Philosophie der
Wissenschaftsförderung der ZEIT-Stiftung dar. Ich möchte den heutigen
Anlaß - sozusagen das Bergfest der ECW -nutzen, um von den Motiven zu
berichten, die uns als fördernde Stiftung bewogen haben, sich 1996
dieses Projekts anzunehmen und die uns über alle Klippen hinweg
leiteten. |
Die drei Gründe
des Engagements: |
Ernst
Cassirer teilt mit so vielen anderen, auch gerade Hamburger Gelehrten,
die die geistige, wissenschaftliche Kultur der Weimarer Republik
prägten, das Schicksal der Vertreibung aus Deutschland und der
Verfemung seines Werks. Das Engagement für eine Gesamtausgabe seiner
gerade unter den Fährnissen von Bücherverbrennung und Exil verlorenen
oder verstreuten Werke versteht sich daher auch immer als Akt der
Wiedergutmachung erlittenen Unrechts und einer gewaltsam verhinderten
Wirkungsgeschichte. Dass die ZEIT-Stiftung, die dem Wissenschaftsplatz
Hamburg bekanntlich insgesamt verbunden ist, sich dieser Aufgabe nicht
verweigern konnte, versteht sich von selbst. Ein anderer Weg wäre
seine Universität nach ihm zu benennen - doch darüber müssen andere
befinden. |
Sich mit Akten
der Wiedergutmachung zu bescheiden, hieße allerdings Bedeutung und
Rang Ernst Cassirers zu unterschätzen. Cassirer ist wohl - neben
Heidegger der bedeutendste deutsche Philosoph der ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts. Ein sehr deutscher Gelehrter - und doch
gleichermaßen von internationalem Rang, was sich nicht eben häufig
finden läßt. |
Schon die
Zeitgenossen haben seine wegweisenden Arbeiten zur deutschen
Philosophie- und Geistesgeschichte aus Kaiserreich und Weimarer
Republik in ihrer Bedeutung erkannt. Sie liegen mittlerweile
geschlossen in der ECW vor. |
»Heute war ich
bei Cassirer«, so erinnert sich Golo Mann, »der mich nicht kannte oder
kennen wollte, und der von den dreien, die ich gesprochen hatte,
entschieden der kühlste war. Besonders meine Beziehungen zu Jaspers
behandelte er mit souveräner Verachtung. Ob ich meine von Professor
Jaspers akzeptierte Dissertation einsenden dürfe? ›Wenn Ihnen daran
liegt, warum nicht? Vielleicht werde ich hineinschauen.‹ Warum ich
übrigens in Hamburg das Examen machen wollte, da ich doch in München
wohnte? ›Ich bin durch meinen Vater lübischer Staatsbürger und darum
...‹ Für einen Moment wurde er stutzig; jedoch stellte er keine weiteren
Fragen«. (Gedanken und Erinnerungen, 473) |
Der Bericht läßt
Cassirers Bedeutung in der Wissenschaftslandschaft der Weimarer Republik
aufscheinen. Denn natürlich zählte der Besuch bei dem Denker der
Republik auch für den jungen Heidelberger Doktor und deutschen
Bildungsbürger par exellence zum selbstverständlichen Programm seiner
akademischen Grand Tour. |
Angesichts des
Publikums des heutigen Abends sollte ich mir als Nicht-Philosoph
eigentlich jede Cassirer-Exegese untersagen. Gestatten Sie mir jedoch
einige Bemerkungen: Schon C.s Dissertation über Leibniz läßt sich als
Tadel des plumpen Nationalismus und der kulturellen Selbstüberhebung des
Wilhelminismus lesen. Dieses Programm einer Philosophiegeschichte -
sozusagen in republikanischer Absicht - führte C., wie in der ECW
nachzulesen, in einer schlüssigen Folge von Arbeiten zur deutschen
Philosophiegeschichte vor. |
In seiner
berühmten Hamburger Rede zum Weimarer Verfassungstag 1928 folgerte er: »dass
die Idee der republikanischen Verfassung als solche im Ganzen in der
deutschen Geistesgeschichte ... keineswegs ein Eindringling ist, dass
sie vielmehr auf deren eigenem Boden erwachsen und durch ihre
ureigensten Kräfte der idealistischen Philosophie genährt worden ist«. |
Cassirer war eine
republikanische Celebrität. Auch gerade dies, der Versuch, deutsche
geistige Tradition und die moderne Weimarer Gesellschaft zu versöhnen -
abseits von allen Diskussionen um Zivilisation versus Kultur - wurde ihm
1933 und weit über 1945 hinaus zum Verhängnis. Sicher fällt es nach 1945
schwer deutsche Geistesgesichte als europäischen Normalfall, statt als
Sonderweg, als Beitrag zu einem Europa, gegründet auf Freiheit und
Selbstbestimmung zu beschreiben. Wie nur wenige deutsche Denker im 20.
Jh. verdient der Vernunftrepublikaner Cassirer ein »bibliophiles
Denkmal« wie die ECW. Auch hier war die ZEIT-Stiftung, die mit Gerd
Bucerius einen der Gründerväter der zweiten deutschen Republik in
Hamburg und auf Bundesebene und einer republikanischen Presse zum
Stifter hat, selbstverständlich gefordert. |
Nicht unerheblich
für das Engagement für die ECW sprach aber auch, dass Cassirer weit
entfernt davor ist, selbst bloß Gegenstand der Philosophiegeschichte,
ein spätes Denkmal des deutschen Idealismus zu sein. Gerade der
Kulturphilosoph, dessen Schlüsselwerk, »Die Philosophie der symbolischen
Formen«, heute hier mit dem vorgelegten Band 13 komplettiert werden
kann, findet verstärktes Interesse in den sich zu Kulturwissenschaften
transformierenden Geisteswissenschaften. |
Möglicherweise
hat Cassirer das berühmte Davoser Streitgespräch mit Martin Heidegger
doch noch gewonnen, aus dessen Heidelberger Dunstkreis Golo Mann für
Cassirer wohl zu kommen schien, was ihm wohl die eingangs zitierte kühle
Herablassung eintrug. Cassirers Phänomenologie der Sprache, Sprache als
Abbild der menschlichen Weltgestaltung, ja der Bedingung zur geistigen
Existenz des Menschen, erscheint wohl nicht nur mir hoffnungsvoller als
Heideggers ausweglose Ontologie: Ihr war Cassirers emphatischer,
idealistischer Sprachbegriff bloßes Gerede. Doch Cassirer bot und bietet
immer noch eine Philosophie als Geistesgeschichte, die trotz allen
Erfahrungen des 20. Jhs dem Individuum Raum läßt. |
Zudem öffnen
Cassirers »Sybolische Formen« einer segmentierten
Wissenschaftslandschaft, die Chance auf Wiedergewinnung der schon
verloren geglaubten Einheit der Wissenschaften und ihrer gemeinsamen
Elemente. Sie führen Natur- und Geistes und Sozialwissenschaft
möglicherweise im einem Konzept der Lebenswissenschaften zusammen.
Dieses sich erneuernde Interesse an Cassirer und seine Rezeption
bedingen geradezu zwangsläufig das Engagement für eine zuverlässige und
vollständige Ausgabe seiner Werke. Die ZEIT-Stiftung trägt gerne zu
dieser wichtigen Aufgabe der Ernst-Cassirer-Arbeitstelle und des Felix
Meiner Verlags bei. |
Lassen Sie mich
mit herzlichem Dank für die geleistete Arbeit schließen - allen die zum
Erscheinen der ECW beigetragen und beitragen werden und mit ihr
verbunden sind. Allen sei zum »Bergfest« der Reihe herzlich gratuliert.
Ohne den unermüdlichen Einsatz des Verlags und der wissenschaftlichen
Sorgfalt der Editorin Birgit Recki und der Bearbeiter der jeweiligen
Bände - Marcel Simon, Tobias Berben, Dagmar Vogel, Reinold Schmücker und
Claus Rosenkranz - erscheint mir das Geleistete undenkbar. Es sind
Menschen, die Wissenschaft machen und das ist heute Ihr Abend! |
Die ZEIT-Stiftung
baut auch weiterhin auf eine gute Zusammenarbeit, die einen zügigen
Abschluß der ECW in den nächsten vier Jahren ermöglichen wird. |