Ernst-Cassirer-Arbeitsstelle

Manfred Meiner
Felix Meiner Verlag, Hamburg
 
Was macht eigentlich ein Verlag? Beziehungsweise was geschieht in einem solchen Unternehmen? Es sollte mich freuen, wenn es mir gelänge, Ihnen davon einen kleinen Eindruck zu vermitteln, um Sie dann - nicht nur in Sachen Ernst Cassirer philosophisch gefestigt durch den Vortrag von Frau Professor Recki - sondern auch als gute Bekannte und Freunde des Verlages Felix Meiner zu Wein und Brot einzuladen. Diesen Verlag, der 1911 von meinem Großvater in Leipzig gegründet wurde, führe ich heute übrigens in dritter Generation als unabhängiges, ausschließlich im Besitz der Familie befindliches Unternehmen. Unser Arbeitsgebiet ist beinahe ausschließlich die Philosophie. Herzlich willkommen also zur Vorstellung der Hamburger Ausgabe »Ernst Cassirer: Gesammelte Werke«! Gleich im Anschluß an meine kurzen Ausführungen werden Ihnen die Mitarbeiter an diesem Projekt gern noch erläutern, was hier seit gut einem Jahr getan wird und warum.
Daß ich zur Beantwortung der Frage nach der Tätigkeit des Verlages nicht einfach ein Buch vorzeige ist vielleicht schon bemerkt worden, und es hat durchaus seine Richtigkeit damit; denn wir haben ja nicht zu einer dieser Premieren eingeladen, bei denen man gelegentlich den Eindruck gewinnt, Autoren und Verleger seien zu Buchständern mutiert. Daß wir die »schwarze Kunst« beherrschen, werden Sie mir hoffentlich auch so glauben, und wenn nicht, sei der Hinweis erlaubt, daß der Meiner Verlag - als bald Neunzigjähriger (davon jetzt genau 50 Jahre in dieser Stadt) - es schon aus lauter Sturheit kaum noch aufgeben könnte.
Eine Präsentation der »Hamburger Ausgabe« der Werke Ernst Cassirers ohne Bücher also? Ganz ohne geht es natürlich nicht, und deswegen haben wir Sie ja hierher in die Bibliothek Warburg gebeten, wo Cassirer entscheidende Anstöße für seine eigene Arbeit empfangen hat, die wir uns vorgenommen haben, erstmals in einer Gesamtausgabe überschaubar zu machen. Diese Ausgabe wird in chronologischer Folge alle von Cassirer veröffentlichten oder für eine Veröffentlichung vorbereiteten Texte präsentieren und ist auf insgesamt fünfundzwanzig Bände angelegt. Nähere Einzelheiten entnehmen sie bitte dem Prospekt. Nach gut einem Jahr Vorbereitungen wird in Kürze der erste Band vorliegen, und dann soll es in rascher Folge weitergehen.
Wie nun ist das »Projekt Cassirer« entstanden? Bei einer Gelegenheit wie heute ist es ja meist üblich und angenehm, rückblickend den Verantwortlichen und Beteiligten namentlich zu danken. Bis auf wenige Ausnahmen - dazu später - erspare ich Ihnen diese Prozedur, schon aus humanitären Gründen; denn wir müßten zurückgehen bis in die zwanziger Jahre, als einer Anregung von Cassirer folgend die große historisch-kritische Ausgabe der opera omnia von Nicolaus Cusanus ins Leben gerufen wurde, ein gewichtiger Meilenstein in der Geschichte unseres Verlages, der Cassirer bereits durch dessen Herausgabe der Werke von Gottfried Wilhelm Leibniz für unsere »Philosophische Bibliothek« verbunden war. - Nach dem Zweiten Weltkrieg war es dann die Wissenschaftliche Buchgesellschaft in Darmstadt, die nach und nach die von Cassirer selbst ursprünglich im Verlag seines Vetters Bruno veröffentlichten Bücher wieder zugänglich machte bzw. nachdruckte. Es freut mich deswegen besonders, daß wir die Neuausgabe gemeinsam mit der WBG veranstalten, d.h. wissenschaftliche und verlegerische Interessen unter einen (Buch-)Deckel zu bringen waren. - Anfang der achtziger Jahre schlug die Geburtstunde der Studienausgaben von Texten Cassirers in unserem Verlag - gegenwärtig liegen neun Einzelbände vor - bei einer philosophischen Tagung in Trier, die mir auch aus mancherlei anderen Gründen in besonderer Erinnerung bleiben wird. Gerade eben ist noch die »Philosophie der Aufklärung« in unserer »Philosophischen Bibliothek« herausgekommen. Diese Bände dienen vor allem dem Gebrauch im Seminar bzw. durch Studenten.
Getreu dem Motto, daß der Verleger kaum etwas mehr liebt als die Reihe, entstand dann rasch der Gedanke, das seit Jahrzehnten editorisch brachliegende Werk einschließlich des umfangreichen Nachlasses, der von seiner Witwe Toni der Yale University Press vermacht worden war, in einer Gesamtausgabe zugänglich zu machen - ein in seiner schlichten Größe ebenso verführerischer wie unrealistischer Plan; denn beinahe hätten wir vergessen, daß der Bedeutung eines Philosophen die ihm entgegengebrachte öffentliche Aufmerksamkeit nur in den seltensten Fällen entspricht, und das heißt, der Absatz seiner Bücher ebenso selten, andererseits aber Mittel zur Verfügung stehen müssen, um die Tätigkeit der wissenschaftlichen Bearbeiter der Texte zu finanzieren, wenn dies aus Honoraren nicht möglich ist.
Übrig blieb deswegen zunächst die Konzentration auf den fast vollständig unbekannten Nachlaß, dessen Herausgabe durch Mittel der Deutschen Forschungs-gemeinschaft ermöglicht werden konnte und dessen Veröffentlichung in zwanzig Bänden, ebenfalls in unserem Verlag, vorgesehen ist. Kaum war 1995 zum 50. Todestag des Autors der erste Band erschienen, fingen wir allerdings wieder an, den alten Traum zu träumen, von einer systematisch gegliederten, einheitlich konzipierten Ausgabe der Werke ...! Der Traum schien jetzt realistischer als früher, war doch die Nachlaßausgabe schon auf gutem Wege, langfristig durch eine Arbeitsstelle an der Humboldt-Universität in Berlin gesichert, da könnte man doch vielleicht in Hamburg ...!?
Und so war es dann auch. Im Prospekt formulieren wir heute diskret: »Die Hamburger Ausgabe ›Ernst Cassirer: Gesammelte Werke‹ wurde ermöglicht durch eine enge Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg, der Aby-Warburg-Stiftung und der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.« Daß dies so einfach klingt ist gut, weil im Vordergrund der Philosoph Ernst Cassirer und sein Werk stehen und Fragen nach dem Wer Wann Wie für uns jetzt keine Priorität mehr haben. Unabhängig davon gilt es aber, den Beteiligten am Zustandekommen dieser Ausgabe Respekt zu erweisen und Dank abzustatten: Frau Professor Frede, weil sie sich unbeirrt und selbstlos für dieses Projekt eingesetzt hat, das eigentlich gar nicht das Ihre ist; - Herrn Professor Hajen, weil er sein Senatorenamt kongenial mit dem Vorsitz der Warburg-Stiftung zu verbinden wußte und einen wichtigen Aufsatz über Cassirer in unserer Zeitschrift »Dialektik« geschrieben hat; - Herrn Altbundeskanzler Schmidt, dessen philosophisches Gespür viel zu unbekannt ist, dessen Rat man aber, wie dem von Herrn Professor Bierich von der Robert Bosch GmbH, immer folgen sollte - und vielen anderen, die ich leider nicht alle erwähnen kann.
Sie möchten es aber vielleicht noch etwas präziser wissen, wie denn nun eine solche Ausgabe auf den Weg gebracht wird, und da es keine Geheimnisse zu hüten gibt, darf ich zur Verdeutlichung noch kurz Folgendes hinzufügen:
Auf der Grundlage einer im Juni 1995 verlagsseitig erarbeiteten Projektbeschreibung gelang es, Universität und Warburg-Stiftung für die Herausgabe der Werke Ernst Cassirers zu interessieren, was sich u.a. darin ausdrückte, daß die Neubesetzung einer Professur am Philosophischen Seminar mit der wissenschaftlichen Betreuung dieses Vorhabens verknüpft und dieser aus Sondermitteln eine Assistentenstelle für denselben Zweck zugeordnet werden konnte. Vorangegangen war anläßlich des 50. Todestages des Autors im April des gleichen Jahres die Eröffnung einer Ringvorlesung zu Themen im Zusammenhang mit seiner Philosophie, in deren Rahmen wir Gelegenheit hatten, die bereits erwähnte Nachlaßausgabe vorzustellen. Sodann wurde uns die Möglichkeit eröffnet, eine Arbeitsstelle hier im Warburg-Haus einzurichten und zweckmäßig mit EDV auszustatten. Besonderer Dank gebührt in diesem Zusammenhang Herrn Prof. Schmidt von der Technischen Universität, Harburg.
Ebenfalls glücklichen Umständen ist die Verbindung zur ZEIT-Stiftung zu verdanken, die für einen Zeitraum von fünf Jahren die Finanzierung von drei jeweils halbtags beschäftigten, wissenschaftlichen Mitarbeitern übernommen hat. Die Art und Weise, wie unser Antrag damals behandelt worden ist, ist einfach bemerkenswert, und Sie werden verstehen, daß ich mein Möglichstes tun werde, um das in uns gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen. - Hier darf ich allen, die am Gelingen dieses wirklich nicht alltäglichen Projektes mitgewirkt haben und weiter mitwirken, insbesondere also den Mitarbeitern, erneut sehr herzlich danken und ausdrücklich erwähnen, wie angenehm sich das Zusammenleben und -arbeiten hier im Hause gestaltet. Aby Warburg und Ernst Cassirer hätten gewiß ihre Freude daran!

Ernst-Cassirer-Arbeitsstelle
Warburghaus
Heilwigstr. 116
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