Krista Sager |
Hamburger Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin |
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Die Bibliothek, in der ich Sie herzlich begrüße, ist in vielfacher
Weise mit Ernst Cassirer verknüpft: |
Cassirer war sofort fasziniert von der Bibliothek, die Aby Warburg
zusammengetragen hatte. Toni Cassirer, seine Ehefrau, beschreibt das:
»Ich erinnere mich, wie Ernst nach dem ersten Besuch der Bibliothek in
einer für ihn sehr ungewöhnlichen Erregung nach Hause kam und mir
erzählte, daß diese Bibliothek etwas unerhört Einmaliges und
Großartiges wäre. Die Entdeckung der Bibliothek Warburg glich einer
Fundgrube, in der Ernst einen Schatz nach dem anderen zu Tage
förderte.« |
Diese Räumlichkeiten bieten also einen würdigen und zugleich
sprechenden Hintergrund für die Präsentation eines gewichtigen
wissenschaftlichen Vorhabens: Die Gesammelten Werke Ernst Cassirers
vereinen, was durch die Zerrissenheit dieses Jahrhunderts bislang
versprengt war. |
Und wie Ernst Cassirer ins Exil getrieben wurde, wurden auch die
Schätze der Warburg Bibliothek vor dem Zugriff der
nationalsozialistischen Machthaber ins rettende England gebracht. |
So stehen sowohl die Lebensgeschichte des großen Philosophen Ernst
Cassirer als auch die Fragment bleibende Warburg-Bibliothek in Hamburg
für das zerstörerische Potential des Nationalsozialismus. Daran
gemahnen die bewußt leer bleibenden Abschnitte in diesen
Bibliotheksregalen und diese Veranstaltung, die noch einmal ins
Bewußtsein ruft, welche unwiederbringlichen Verluste das deutsche
Geistesleben durch die nationalsozialistische Barbarei erlitten hat. |
Im Jahr 1929 wird Ernst Cassirer zum Rektor der Universität Hamburg
gewählt. Die Verwaltungsverpflichtungen und Repräsentationsaufgaben
dieses Amtes übernimmt er gerne, wenngleich diese Tätigkeit eine
Unterbrechung seiner wissenschaftlichen Arbeit bedeutet. Die Anzeichen
des politischen Wandels spüren er und seine Familie wohl. Als seine
Frau ihn Anfang der dreißiger Jahre bittet, sich doch um eine
Professur in Basel zu bewerben, lehnt er mit der Begründung ab: »Das
wäre undankbar gegen Hamburg.« Diese Loyalität und Zuneigung ehrt
Ernst Cassirer, gedankt wird sie ihm nicht. |
Angesichts Hitlers Machtergreifung im Januar 1933 zeigt sich der
sanfte Ernst Cassirer ebenso entschlossen wie unbeugsam. Sein Brief an
den Dezernenten der Hochschule spricht eine deutliche Sprache: »Ich
denke von der Bedeutung und von der Würde des akademischen Lehramts zu
hoch, als daß ich dieses Amt ausüben könnte zu einer Zeit, in der mir
als Juden die Mitarbeit an der deutschen Kulturarbeit bestritten wird.
Die Arbeit, die ich bisher innerhalb der Fakultät leisten durfte,
beruht darauf, daß ich als gleichberechtigtes Mitglied anerkannt war.
Mit dem Wegfall dieser Voraussetzung entfällt für mich jede
Möglichkeit, in sachlich fruchtbarer Weise an den Arbeiten der
Fakultät teilzunehmen. So muß ich fortan das Band als gelöst ansehen,
das mich bisher mit der Philosophischen Fakultät Hamburg verknüpft
hat. Was diese Lösung für mich bedeutet, darüber wird es keiner Worte
bedürfen.« |
Diesen Sätzen ist die Verbundenheit mit Hamburg anzumerken, aber auch
der Schmerz über die unhaltbare Situation für einen jüdischen
Philosophen im Angesicht der aufziehenden Barbarei. Ernst Cassirer
erkannte die drohende Gefahr durch den Nationalsozialismus - die
Vernichtung seiner geistigen Existenz. |
Im Mai 1933 verlassen Cassirers Deutschland - für immer. Einige Zeit
halten sie sich in der Schweiz und in England auf, schließlich folgen
fünf Jahre im schwedischen Exil. Im Winter 1940 erreicht Cassirer dann
ein Ruf der Yale University. Ernst Cassirer ist nicht zerbrochen an
den Zeitläufen, er hat sich vielmehr auf die jeweiligen Situationen
einzustellen gewußt.
Seine beiden letzten Bücher, An Essay on Man und The Myth of the State
schreibt er auf Englisch. Wie in Schweden stürzt er sich auch in
Amerika in die Arbeit, der Erkenntnistheoretiker und Kulturphilosoph
Cassirer wendet sich der Anthropologie zu. Es kennzeichnet die
intellektuelle Physiognomie Ernst Cassirers, daß er im Mythos des
Staates schreibt: »Wir sollten den Ursprung, die Struktur, die
Methoden und die Technik der politischen Mythen sorgfältig studieren.
Wir sollten dem Gegner ins Angesicht sehen, um zu wissen, wie er zu
bekämpfen ist.« |
Es war Ernst Cassirer nicht vergönnt, die Befreiung Deutschlands zu
erleben. Der Philosoph, der den akademischen Kosmos in
unvergleichlicher Weise bereichert hat, stirbt im April 1945 in den
Armen eines Studenten an der Universität in New York. |
Die Biographie des Philosophen Ernst Cassirer lehrt, wie ein durch den
Nationalsozialismus zerrissenes Leben zusammengeführt wird in der
Kontinuität der gedanklichen Arbeit, in der Hingabe an die
Wissenschaft.
Es gehöre zum geistigen und moralischen Mut der Philosophie, über ihre
Zeit hinaus und gegen sie zu denken, hat Ernst Cassirer gesagt. Das
hat er vorbildlich getan. Daß der Felix Meiner Verlag diese
Werkausgabe verlegt und daß die Wissenschaftler diese bedeutende
Ausgabe im Warburg-Haus erarbeiten können, nehme ich als gutes
Zeichen. |
Hier hat Ernst Cassirer 1926 zur Einweihung des Warburg-Hauses einen
Vortrag über die Philosophie der Renaissance gehalten. Nun fügt sich
in einem großangelegten Verlagsprojekt erstmalig das gesamte
gedankliche Schaffen Cassirers zusammen. Allen, die daran mitwirken,
gebührt Dank und Anerkennung. Lassen Sie mich diese Anstrengungen
aller Beteiligten aber auch interpretieren als ein Stück Dankbarkeit
Hamburgs gegenüber Ernst Cassirer. |